Allgemein

Unterstützung der Präventionsarbeit der Familienzentren Ostholstein durch eine Informationsplattform

An der Universität zu Lübeck wurde eine App entwickelt, um die Präventionsarbeit der Familienzentren in Ostholstein zu unterstützen. Diese Entwicklung erfolgte im Rahmen der Masterarbeit von Thilo Hemmie und wurde auf dem Meet-Up der Medieninformatik mit dem Transferpreis ausgezeichnet.

Die Familienzentren Ostholstein leisten Präventionsarbeit für Familien mit Kindern bis zum Schuleintrittsalter und bieten verschiedene primärpräventive (z. B. Eltern-Kind-Treffs und Veranstaltungen und Beratung zur Elternbildung) und sekundärpräventive (z. B. Familienhebammen) Angebote an1. Die Kanäle zur Verbreitung von Informationen zu diesen Angeboten werden jedoch von den Mitarbeitenden der Familienzentren als nicht mehr zeitgemäß bewertet, wodurch nur teilweise die hauptsächliche Zielgruppe der Angebote erreicht wird: Familien mit kleinen Kindern in schweren Lebenslagen oder stark belastete Familien.

Neben fehlenden modernen Kommunikationskanälen liegen weitere Barrieren vor, die stark belasteten Familien die Inanspruchnahme von Angeboten erschwert. Diese Barrieren der Inanspruchnahme können zu einer Unterversorgung dieser Familien führen. Weniger belastete Familien haben dem gegenüber geringere Barrieren und sind dadurch eher überversorgt. Diese unpassende Verteilung der Versorgung wird mit dem Präventionsdilemma beschrieben (siehe Abbildung 1).

Abbildung 1: Das Präventionsdilemma adaptiert nach Paul (2019)2

Die Entwicklung der Anwendung hatte das Ziel, einen moderneren und verbesserten Kommunikationskanal zwischen Familienzentren und Eltern aufzubauen. Mit ihr sollen Informationen zu Angeboten besser vermittelt und Barrieren der Inanspruchnahme verringert werden, insbesondere für stark belastete Familien. Um eine gebrauchstaugliche Anwendung zu realisieren, wurde sich am menschzentrierten Gestaltungsprozess orientiert. Nachfolgend werden die Analyse, Konzeption, Realisierung und Evaluation der Anwendung vorgestellt.

Analyse

In enger Zusammenarbeit mit in Ostholstein lebenden Familien und den Familienzentren wurde der Nutzungskontext analysiert. Mit mehreren Interviews mit Eltern und einer Fragebogenerhebung konnte der Zusammenhang zwischen der Belastung der Eltern und den Barrieren der Inanspruchnahme untersucht werden. Zwei Workshops, ein Interview und ein Fragebogen mit und für die Mitarbeitenden der Familienzentren deckten weitere Anforderungen an die Anwendung auf.

Als ein Ergebnis konnte eine Liste von elf Barrieren identifiziert werden, die Eltern von der Teilnahme an Angeboten abhalten (siehe Abbildung 2).

Abbildung 2: Die Barrieren der Inanspruchnahme

Konzeption

Aus den Barrieren der Inanspruchnahme und weiteren Ergebnissen der Analyse (wie zum Beispiel Ergebnisse der Literaturrecherche und der Workshops) wurden Anforderungen an die Anwendung abgeleitet. Zur Erfüllung dieser Anforderungen wurden Gestaltungslösungen entwickelt und formativ mit Müttern kleiner Kinder aus Ostholstein evaluiert (siehe Abbildungen 3 und 4).

Abbildung 3: Die Liste verfügbarer Angebote der Familienzentren (obere Hälfte)
Abbildung 3: Die Liste verfügbarer Angebote der Familienzentren (untere Hälfte)
Abbildung 4: Das Angebot eines Babytreffs des Familienzentrum Oldenburg. (obere Hälfte)
Abbildung 4: Das Angebot eines Babytreffs des Familienzentrum Oldenburg. (untere Hälfte)

Realisierung

Das entwickelte Konzept wurde mit dem Framework React Native3 als eine native App realisiert (siehe Video unten), um Anforderungen nativer Funktionalitäten effizient zu implementieren. Zur Verwaltung der Inhalte durch die Mitarbeitenden der Familienzentren wurde Strapi4, ein headless Content Management System, angebunden. Mittels Docker wurde das CMS auf den Servern der Universität zu Lübeck bereitgestellt.

Evaluation

Der realisierte Prototyp wurde mit sechs Müttern kleiner Kinder aus Ostholstein evaluiert. Das Ziel der Evaluation war es, die Gebrauchstauglichkeit der Anwendung zu testen und zu überprüfen, ob die Anwendung die Barrieren der Inanspruchnahme verringern kann. Die Mütter sollten in einem Prä-Post-Design vor und nach der Nutzung der App ihre Barrieren der Inanspruchnahme angeben Mit dem Fragebögen SUS5und VisAWI-S6 und einem abschließendes Interview wurden Daten gesammelt, um eine Bewertung der Gebrauchstauglichkeit und empfundenen Ästhetik der App zu ermöglichen.

Aufgrund der begrenzten Anzahl an Testpersonen sind die Ergebnisse nur vorläufig und eine statistische Auswertung ist nur begrenzt möglich.

Die Gebrauchstauglichkeit der App wurde mit einem SUS-Score von 92 als „Exzellent“ bewertet. Auch der VisAWI-S-Score mit 5.95 Punkten und das positive Feedback aus den Interviews sprechen für eine gute Gebrauchstauglichkeit und Ästhetik.

Acht von elf Barrieren wurden von den Eltern nach der Nutzung der App als geringfügig niedriger bewertet als vor der Nutzung. Bei den Barrieren „Mangel an Informationen“ und „Aufwand (der Informationssuche)“ wurden die höchsten Veränderungen angegeben. Diese Angaben und auch das Interview zeigten, dass Schwierigkeiten in der Informationsaufnahme durch die App verbessert werden könnten, während Barrieren, wie „Behörden als Bedrohung“ oder „Symbolik guter Eltern“, die eher durch soziale Umstände hervorgerufen werden, ein geringeres Potential zur Verringerung haben.

Neben der App wurde das CMS für die Verwaltung der Inhalte mit sechs Mitarbeiterinnen der Familienzentren evaluiert. Hier wurden besonders der Umfang der Informationen und die Einfachheit der Interaktionen positiv bewertet.

Fazit und Ausblick

Im Rahmen der Masterarbeit entstand mit dem Familienportal Ostholstein ein Prototyp, der Familien den Zugang zur Präventionsarbeit der Familienzentren Ostholstein vereinfachen kann. In enger Zusammenarbeit mit den Familienzentren Ostholstein wurde eine App realisiert, die das Potential hat, Barrieren der Inanspruchnahme von Hilfsangeboten zu reduzieren. Dies geschieht v.a. über eine gebrauchstaugliche Kommunikation von Informationen.

Es ist eine Anwendung entstanden, die für den Gebrauch in der Praxis entwickelt wurde, von der Zielgruppe positiv angenommen wurde und damit für die Familienzentren einsatzbereit ist. Eine Auswirkung auf Barrieren, die z. B. aufgrund von individuellen, sozialen oder kulturellen Umständen vorliegen, sollte mit einer Weiterentwicklung des Prototypen stärker untersucht werden.

  1. https://familienzentren-ostholstein.de/ ↩︎
  2. Paul, M. (2019, 15. März). Das Präventionsdilemma in den Frühen Hilfen [Posterpräsenta-tion]. Frühe Hilfen, Dornbirn, Deutschland. https://www.fruehehilfen.de/fileadmin/user_upload/fruehehilfen.de/pdf/Internationale-Tagung-Dornbirn-Das-Praeventionsdilemma-in-den-FH-Vortrag-Mechthild-Paul_b.pdf ↩︎
  3. https://reactnative.dev/ ↩︎
  4. https://strapi.io/ ↩︎
  5. Brooke, J. (1995). SUS: A quick and dirty usability scale. Usability Eval. Ind., 189. ↩︎
  6. Moshagen, M. & Thielsch, M. T. (2010). Facets of visual aesthetics. International Journal of Human-Computer Studies, 68(10), 689-709. https://doi.org/10.1016/j.ijhcs.2010.05.006 ↩︎
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