JIl-Kompakt

JIL kompakt – Menschzentrierte Entwicklung von E-Government-Anwendungen

Die JIL kompakt stehen als handliche Zweiseiter zur Verfügung.

Wie entwickelt man ein gutes Produkt — speziell, eine Anwendung, die von allen Mitarbeitern:innen der öffentlichen Verwaltung oder von Bürger:innen schnell und fehlerfrei zur Erreichung ihrer Ziele eingesetzt werden kann?

Da Mitarbeiter:innen der öffentlichen Verwaltung viel Zeit mit digitalen Anwendungen verbringen, müssen diese einfach erlernbar sein, schnell und ohne Fehler nutzbar sein (Effizienz), den Nutzern:innen erlauben, ihre Ziele vollständig und genau zu erreichen (Effektivität) und ihren Erwartungen entsprechen (Zufriedenheit). Das heißt, sie müssen gebrauchstauglich sein.

Diese Anforderungen gelten insbesondere auch für Anwendungen, die von den Bürgern:innen zur Interaktion mit der öffentlichen Verwaltung verwendet werden (z. B. Bürgerservice-Portale).


Die Nutzer:innen im Fokus

Die Entwicklung einer gebrauchstauglichen Anwendung benötigt technische und fachliche Expertise. Die Experten für die technische Seite (z. B. Informatiker:innen) als auch für die inhaltlich-fachliche Seite (z. B. Verwaltungsexperten:innen) müssen ihr Wissen einbringen. Aber diese Synergie macht noch keine gebrauchstaugliche Anwendung.

Es gibt viele Möglichkeiten, die technischen und fachlichen Anforderungen zu realsieren und oft zeigt nur die Nutzung von (prototypischen) Umsetzungen, welche Lösungen sich praktisch bewähren. Und dafür benötigt es die Einbeziehung der tatsächlichen Nutzer:innen schon im Entwicklungs­prozess.

Alle Stakeholder frühzeitig mit einbeziehen

Entsprechend ist die Entwicklung von gebrauchstauglichen Anwendungen ein menschzentrierter Prozess, welcher sowohl die späteren Nutzer:innen als auch die von der Anwendung betroffenen Personen schon frühzeitig aktiv im Entwicklungsprozess mit involviert. So müssen bei einer Anwendung für die Bürger:innen, wie z. B. einem Anliegenmanagement-System («Mängelmelder», «Stadtverbesserungs-App»), auch die Verwaltungsmitarbeitenden aufgrund der notwendigen folgenden verwaltungsinternen Prozesse mit einbezogen werden. Im Beispiel können die Anliegen von den Bürger:innen schon so vorkategorisiert werden (z. B. «Wilder Müll», «Grünflächen», «Schäden», etc.), dass die Anliegen direkt an die zuständige Stelle weitergeleitet und schneller bearbeitet werden können.

Menschzentrierter Gestaltungsprozess

Wie kann ein solcher Entwicklungsprozess aussehen, welcher die Nutzer:innen bei der Gestaltung der Anwendung in den Fokus setzt? Ein gutes Modell bietet die Norm «Ergonomie der Mensch-System-Interaktion Teil 210: Prozess zur Gestaltung gebrauchstauglicher interaktiver Systeme» (DIN EN ISO 9241-210), in der dieser menschzentrierte Gestaltungsprozess schematisch dargestellt ist:

Iteratives Vorgehen führt zum Erfolg

Ein zentraler Aspekt dieses Prozesses sind die möglichen Iterationen («das Wiederholen einer Folge von Schritten, solange bis das gewünschte Ergebnis erzielt wurde», DIN EN ISO 9241-210). Es wird nicht davon ausgegangen, dass eine Anwendung in der ersten Version die Anforderungen perfekt erfüllt, denn bei aller Expertise, Planung, Recherche oder Kreativität — ob eine Entwicklung wirklich gebrauchstauglich ist, sieht man erst im praktischen Einsatz. Entsprechend müssen die möglichen Gestaltungslösungen frühzeitig mit den Nutzern:innen evaluiert werden (z. B. mit Hilfe von einfachen Skizzen der späteren Anwendung bis hin zu real aussehenden digitalen Anwendungen). Je nach Evaluationsergebnis wird im Anschluss das Verständnis des Nutzungskontextes, die Anforderungen oder die Gestaltungslösungen überarbeitet und erneut getestet, bis die Gestaltungslösung die Nutzungsanforderungen erfüllt. Durch die frühe Einbeziehung der tatsächlichen Nutzer:innen werden langwierige, teure und letztendliche Fehlentwicklungen vermieden. Zum Beispiel, wenn für die (seltene) Benutzung von Behördendiensten die Anschaffung eines zusätzlichen Gerätes benötigt wird, oder die in der Anwendung starr abgebildeten Prozesse zwar auf dem Papier korrekt sind, aber nicht die tatsächliche Verwaltungspraxis abbilden.


Was Nutzer:innen wollen vs. was sie benötigen

Ein Missverständnis beim menschzentrierten Gestaltungsprozess ist die Annahme, dass die Nutzer:innen die beste Lösung wissen müssen. Im Sinne von Henry Ford’s «Wenn ich die Menschen gefragt hätte, was sie wollen, hätten sie gesagt ‹schnellere Pferde›.» Es ist die Leistung der Entwickler:innen, die Analyse und Evaluation so zu gestalten, dass die Anforderungen und Zielvorstellungen genau erfasst werden (was die Nutzer:innen «wollen») und dann mögliche Gestaltungslösungen zu entwickeln, die diese Anforderungen erfüllen (was die Nutzer:innen «brauchen»). Das beinhaltet eine hohe Methodenkompetenz (z. B. bezüglich Interviews, Fragebögen, systematischer Beobachtung, Analyse von Prozessen und Arbeitsergebnissen), aber auch die kreative Lösung von Zielkonflikten, z. B. wenn unterschiedliche Nutzergruppen unterschiedliche, sich (oft nur auf oberflächlicher Ebene) widersprechende Anforderungen aufweisen, oder innerhalb von Nutzergruppen z. B. zwischen Schnelligkeit und Sicherheit.

Die Rolle der Verwaltungsmitarbeitern:innen in der Entwicklung von Anwendungen

Was heißt das für Sie, wenn eine Anwendung — z. B. (ein Modul einer) Bürgerservice-Website oder App — für Sie entwickelt wird?

Sie sollten bei der Entwicklung von Anfang an aktiv mit eingebunden werden. Das betrifft den gesamten Prozess von den konkret zu erreichenden Zielen (inkl. ob man diese wirklich über eine Software-Anwendung erreichen möchte), das Verständnis und die konkrete Festlegung des Nutzungskontextes, in dem sie eingesetzt werden soll, die spezifischen Nutzungsanforderungen, die Konzeption und Bewertung von möglichen Umsetzungen (Gestaltungslösungen) und die abschließende oder kontinuierliche Evaluation (Bewertung) der realisierten Anwendung.

Fazit

Menschzentrierte Gestaltungsprozesse setzen eine intensive und gute Zusammenarbeit von allen Beteiligten aus unterschiedlichen Bereichen wie Verwaltung, Wissenschaft und Wirtschaft über den gesamten Prozess voraus. Insbesondere wenn mehrere mögliche Lösungen getestet werden müssen. Dafür erhalten Sie dann aber mit höherer Wahrscheinlichkeit eine Anwendung, mit der die Nutzer:innen die Ziele effizient, effektiv und zufriedenstellend erreichen können.

Mehr Informationen

Möchten Sie mehr zur menschzentrierten Entwicklung wissen — insbesondere im Kontext von Anwendungen für öffentliche Verwaltungen und Bürger:innen?

Besuchen Sie unsere Website unter www.jil.sh.

Literatur und weitere Informationen

DIN Deutsches Institut für Normung e. V. (2011). DIN EN ISO 9241-210. Ergonomie der Mensch-System-Interaktion – Teil 210: Prozess zur Gestaltung gebrauchstauglicher interaktiver Systeme. Berlin, Germany: Beuth Verlag.

Dr. Daniel Wessel
Wissenschaftlicher Mitarbeiter
daniel.wessel@jil.sh

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